Brecht/Weill lotsen Metzger auf hohe See
Maria Laschinger, Gesang • Philippe A. Rayot, Klavier • Martin Mejijo Metzger, Lieder • Eylon Kindler, Autor • Eva Müller, Regie
chansonsrouges 2014
Vor knapp zwei Jahren beschlossen die Sängerin Maria Laschinger und der Pianist Philippe A. Rayot mit dem Komponisten und Songwriter Martin Mejijo Metzger, dem Autoren Eylon Kindler und der Regisseurin Eva Müller zusammenzuarbeiten. Somit waren die Voraussetzungen für ein neues abendfüllendes Programm gegeben. Es wurden den beiden neue Stücke auf den Leib komponiert, und rund um diese eine Rahmengeschichte gestrickt.
Seit April wird nun geprobt, und am 3. November feiert das musikalisch-szenische Stück, eine Liebesbezeugung an das Genre des brecht/weillschen Singspiels der zwanziger Jahre, seine Premiere. Heutige Kleinkunst vom Feinsten
Brecht/Weill einst und jetzt
Ein Kabarettlied erweckt heute ganz andere Vorstellungen als im Berlin der 1920er Jahre. Damals wurde auf der Kleinkunstbühne scharfe Gesellschaftskritik, Verhöhnung von Ideologien und anarchistische Propaganda erwartet, heute sind es eher Lieder über Alltägliches mit lustigen Pointen. Die Singspieltechniken, die Kurt Weill aus seiner eigenen Musiksprache, aus Händels Opern wie auch aus der amerikanischen Jazzmusik zusammenmischte, wirkten damals auf das Publikum attraktiv-vulgär. Heute gehören sie zu Standards, die fast jedermann vom Hören her kennt.
chansons rouges versucht das im tieferen Sinn Verbindende zu Brecht/Weill und ihrer Zeit zu finden. Waren es damals politische Allmachtsphantasien, sind es heute wirtschaftliche (Zitat von Bertold Brecht: „Alle grosse Unternehmungen haben ihre Krisen“). Entstand damals der neue Typus des singenden Schauspielers, ist es bei chansons rouges der des schauspielenden Sängers. Wirkten bei Weill die heute vertrauten Jazzelemente vulgär, ertönen bei chansons rouges die populären Musikstile (Rock, Reggae, Techno, etc.) durch die Klavierliedbegleitung fast schon romantisch. Für Kulturinteressierte ein Leckerbissen.
Lieder
Als Vorlage dienten neben Brecht/Weill-Liedern alte Schlager von Fritzi Massary, Zarah Leander, Marlene Dietrich, Hilde Knef, sowie weitere Lieder aus deutschen Revuen und Spielfilmen der zwanziger und dreissiger Jahre. Die Idee war, diese Lieder sowohl vom Inhalt wie auch vom Musikstil her in die heutige Zeit zu versetzen. Sie sind auskomponiert für eine Mezzosopranistin, zum Teil zweistimmig als Duo mit einer Baritonstimme, dazu kommt eine Klavierbegleitung, die mit den populären Musikstilen der Gegenwart spielt.
Und was darf man nun erwarten, wenn Martin Mejijo Metzger diese altehrwürdigen Lieder durch den Fleischwolf seiner musikalischen Imagination dreht?
Jetzt tanzt Seeräuber Jenny als Sekretärin in der Bank-Chefetage Techno-Funk, Mackie Messer alias Ai Weiwei schleicht von Peking nach Shanghai, und der Indientrip nach Surabaya landet wöchentlich in Kingstontown, wo Reggae-Johnny immer noch das gleiche blutige Geschäft mit Geld, Menschen und Drogen macht…
chansons rouges wünscht guten Appetit!
Handlung
Auf der «Prinzessin Turandot», einem Luxusliner zwischen Hamburg und New York, sind eine Diseuse und ihr Klavierbegleiter mit ihrem Brecht/Weill-Programm engagiert. Eines Tages wird an ihrer Kajütentür ein geheimnisvoller Koffer mit unbekannten Songs abgegeben. Sie beginnen sie auszuprobieren und stellen fest, dass da ein gewisser «Metzger» genau die Lieder von Brecht/Weill & Co., die sie in ihrem Programm haben, verfremdet und inhaltlich aktualisiert hat. Wem gehört dieser Koffer? Wer ist dieser «Metzger»? Und wer spielt ihnen diese Lieder so geheimnisvoll zu, und vor allem: Warum?
Als Eylon Kindler begann, die Rahmenhandlung von «Brecht/Weill lotsen Metzger auf hohe See» zu schreiben, liess er sich durch folgende Notiz inspirieren: Vor ca. zwölf Jahren wurde in Zürich ein in Vergessenheit geratener Koffer voller unbekannter Dokumente von Bertold Brecht entdeckt, die er 1949 bei seiner Abreise nach Berlin beim befreundeten Ehepaar Hanswalter und Reni Mertens-Bertozzi hinterlassen hatte. Zu diesem Nachlass gehören literarische Papiere wie Bühnenmanuskripte, handschriftliche Kommentare in Texten und Skizzen, die aber bisher nicht zur Veröffentlichung freigegeben wurden.
Als zweite Inspirationsquelle diente Eylon Kindler eine Erzählung aus der orientalischen Märchensammlung «Tausendundein Tag». Prinzessin Turandot lässt alle Prinzen, die um ihre Hand anhalten, köpfen, da es ihnen nicht gelingt, ein Rätsel, dass sie ihnen gestellt hat, zu lösen. Als dann aber der Auserwählte kommt und alle Rätsel zu lösen weiss, will er sie erst heiraten, wenn sie seinen Namen herausfindet.
Der Turandot-Stoff wurde 1762 von Carlo Gozzi für die Commedia dell'arte unter dem Titel «La Principessa Turandot» bearbeitet und in Venedig als «Tragikomisches chinesisches Theatermärchen in 5 Aufzügen» uraufgeführt. Am bekanntesten ist heute sicher die Oper von Puccini mit der berühmten Arie der Turandot «In questa reggia».